Detailverliebt für ein filmreifes Erlebnis

Ein Open-Air-Kino-Besuch ist wie ein kleines Abenteuer. Einerseits sind die Besucher stets Wind und Wetter ausgesetzt und können nicht sicher sein, ob sie über die ganze Filmlänge hinweg von Petrus verschont bleiben. Schliesslich gab und gibt es auch in diesem Sommer überraschende Gewitter mit Sturm und Hagel. Auf der anderen Seite ist das Gefühl, an der frischen Luft einen tollen Film zu schauen, umgeben von einer prächtigen Landschaft, einzigartig. Wenn im Hintergrund der Leinwand noch ein historischer Bau thront, wird es richtig romantisch; ja fast schon kitschig. Am Open-Air-Kino «Schloss Heidegg» kann dieses «Abenteuer» bereits zum siebten Mal erlebt werden.

Während die Zuschauer ihren Lieblingsstreifen geniessen, wird hinter den Kulissen, unbemerkt, fleissig gearbeitet. Die Hauptverantwortung dafür, dass alles läuft, liegt bei Judith Pagel. Sie ist für den Betrieb des Freiluft-Kinos zuständig. Sie öffnet das Areal abends um 18 Uhr und schliesst nicht selten zwischen ein und zwei Uhr morgens wieder ab. Während dieser Zeitspanne empfängt sie die Besucher, prüft Reservationen, verkauft Tickets, macht die Buchhaltung und stellt ganz nebenbei sicher, dass die Zuschauer überhaupt ein Bild auf der Leinwand sehen können. Die 47-Jährige ist Allrounderin durch und durch. Das kommt nicht von ungefähr und zeigt sich auch in ihrem bewegten Werdegang. Die gelernte Bereiterin wohnt in Malters und machte vor 10 Jahren die Kinotechniker-Ausbildung. Nach längerer Zeit im Ausland, wo sie nebst dem Bereiten diverse andere Jobs unter anderem in Amsterdam und Israel hatte, kam sie in die Schweiz zurück und bekam mit Hilfe ihres Bruders eine Stelle im Kino Bourbaki Luzern. Nebst diesen unterschiedlichen Tätigkeiten ist sie auch regelmässig in der «Schüür» in Luzern anzutreffen. Dort ist Pagel für die Durchführung von Events zuständig. Mit diesen Voraussetzungen kam sie dem Betreiber «Open Air Kino Luna AG» vor zwei Jahren wie gerufen. Die Möglichkeit, eine Person derart vielseitig einzusetzen, spare Kosten, so Pagel. Aber auch für sie sei die grosse Verantwortung ein Gewinn. Den Wechsel zwischen dem Kontakt zu Menschen und technischen Arbeiten schätzt sie. «Ich liebe die Vielseitigkeit. Eigentlich mache ich nicht so gerne Büroarbeiten, in Kombination mit anderem gefällt es mir aber», sagt sie.

Um das vielfältige Schaffen etwas genauer zu beleuchten, soll ein Einblick in den «Film» hinter dem Film möglich werden. Die Voraussetzungen dafür stimmten. An jenem Abend sollte es für einmal keinen Tropfen regnen. Zudem versprach der Streifen «Hidden Figures» mit der Geschichte über afroamerikanische Frauen, die in den 60er-Jahren bei der NASA als Mathematikerinnen gearbeitet hatten, spannende Momente.

Die Dekoration im Eingangsbereich erinnert an die analogen Zeiten in der Kinobranche.

Auf dem Gelände, das bei Dämmerung für Kino-Spektakel sorgen wird, ist es um 18 Uhr noch ruhig. Eine schwarze Katze spaziert auf der Naturstrasse, die zwischen Weinreben und Kino direkt zum Eingang führt. «Vorsicht, nicht am Rücken streicheln. Sie hatte einen Unfall und ist seitdem sehr empfindlich», warnt Judith Pagel. Die Tierliebhaberin nennt den Vierbeiner liebevoll «Kinokatze», da sie während des Kino-Betriebs praktisch täglich vorbeikommt. Pagel schliesst den weissen Container neben der Strasse auf. Dieser wird für die nächsten Stunden einer der Arbeitsplätze von ihr sein. «Hier ist die Kasse und mein Büro», sagt sie. Dabei verwirrt der Ausdruck Büro auf den ersten Blick etwas. Nebst diversen Karton-Kisten mit Werbegeschenken, Regenschutz-Kleidung und sonstigem Lagermaterial, ist nebst einem Tisch mit zwei Stühlen nicht viel zu sehen. Pagel ist jedoch anpassungsfähig und hat ihr «Büro» kurzerhand selbst mitgebracht. Drucker, Laptop, Schreibzeug und Handy genügen. Kurz den Hotspot auf dem Smartphone einrichten und schon kann es losgehen. Nach der Überprüfung von Vorverkäufen und Reservationen stellt sich heraus, dass heute trotz gutem Wetter wohl eher wenig Besucher zu erwarten sind. «Das liegt am Film», sagt Pagel. «Die meisten Leute wollen seichte Unterhaltung und keine schwere Kost.» Etwas, das ihr allgemein zu denken gibt. «Die kleinen Kinos mit weniger Mainstream-Filmen haben gegen die gros­sen Kinopaläste einen schweren Stand. Das finde ich schade.»

Inzwischen hat der Securitas-Angestellte die Kasse gebracht. Nach sorgfältiger Zählung ist alles bereit für die ersten Besucher. Bevor diese eintreffen, muss Pagel aber noch für die richtige Stimmung sorgen. Dazu verlässt sie ihren ersten Arbeitsplatz, öffnet das Gelände und steuert auf den zweiten Container zuoberst auf der Tribüne zu. Auf dem Weg dorthin werden beim Empfangstisch noch kurz die Reservationskärtchen schön aufeinander gestapelt und die letzten, am Vorabend liegengebliebenen Papierfetzen auf der Tribüne eingesammelt. «Ich bin eine Perfektionistin», sagt Pagel. Oben angekommen öffnet sie den Container zum Operateur-Raum. Nun heisst es, die richtige Musik aussuchen. «Ich wähle immer den passenden Sound zum Film, damit sich die Zuschauer schon etwas einstimmen können.» Das seien so kleine Details, die sie in grossen Mainstream-Kinos häufig vermisse, betont Pagel. «Ist James Brown o. k?», fragt sie und ist bereits wieder auf dem Weg zur Kasse, vorbei an einem Einkaufwagen – gefüllt mit Taschentüchern. «Für emotionale Momente», steht auf einem Schild darüber.

Alles im Griff: Judith Pagel prüft die Checkliste im Operateur-Raum.

Die ersten Kinogänger sind inzwischen eingetroffen und finden sich im Gastrobereich ein, um die Wartezeit auf «Hidden Figures» zu überbrücken. Pagels Befürchtungen bestätigen sich. Ungefähr 70 Personen wollen den Film sehen. Platz hätte das Kino für 600. Ist das nicht frustrierend? «Doch», sagt sie. «Es ist einfach schade, wenn sich alle Mühe geben und so wenig Leute kommen.» Als später noch ein Gast an der Kasse auftaucht und fragt, ob noch Tickets vorhanden sind, antwortet Pagel: «Ja, heute ist fast eine Privatvorstellung.» Den Humor scheint sie zumindest nicht verloren zu haben.

Zurück im Operateur-Raum. Es sind nur noch wenige Minuten bis zum Start des Films. Pagel fährt die Technik hoch, schaltet den riesigen Beamer in der Ecke ein und führt auf dem Computer die letzten Mausklicks aus. Nach dem Wechsel des Tonkanals geht es auch schon los. «Hidden Figures» flimmert über die Leinwand. Dank schönem Sonnenuntergang bietet sich den Zuschauern trotz aufkommender Kälte eine beeindruckende Atmosphäre. Auch Judith Pagel mag diese Stimmung. «Am schönsten ist es, wenn während dem Film noch Sternschnuppen zu sehen sind.» Gleichzeitig kennt sie aber auch das schlechte Wetter. Und auch Gewitter hat sie schon hautnah miterlebt. «Einmal schlug direkt neben uns ein Blitz ein. Viele Leute sind aufgestanden und haben Schutz gesucht. Ich war im Operateur-Häuschen und hatte plötzlich eine schwarze Leinwand vor mir.» Der Blitz habe mit seinen elektromagnetischen Strahlungen die Elektronik gestört. Sie habe das System danach wieder hochgefahren und der Film sei weiter gelaufen. «Leider waren viele Leute in der Zwischenzeit gegangen», sagt sie. Abgebrochen werde nur bei starkem Wind. «Ab 70 Stundenkilometern», so Pagel.

Tolle Stimmung: «Hidden Figures» flimmert über die Leinwand.

Lange bleibt Judith Pagel nicht Operateurin. Schnell den Zeitpunkt der Pause ausrechnen, um genug früh wieder oben zu sein, geht es geduckt rennend an den Rängen vorbei zurück zur Kasse. Dort wartet Büroarbeit. Die Abrechnung von diesem Abend ist zu erledigen. Nachdem auch der zweite Filmteil überstanden ist, bereitet sich Pagel auf die nächsten Tage vor und entdeckt dabei ihren halbvollen Teller mit Curry-Reis, den sie in der Pause nicht fertig essen konnte. Die Filmkatze freut’s.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0 Shares
Teilen
Twittern
Teilen
+1