Damit Rehschnitzel und Hirschpfeffer auf dem Teller landen, muss der Jäger auf die Pirsch. Doch wie läuft eigentlich eine Jagd ab? Der «Seetaler Bote» hat die Jagdgesellschaft Hämikon-Müswangen Ende Oktober bei der Treibjagd begleitet.
Roman Stocker wartet bereits seit einer halben Stunde hinter dem Stamm einer Tanne. Aufmerksam nimmt er jedes Knacken im Unterholz des Müswanger Waldes wahr. Bei der kleinsten Regung richtet er sofort seine doppelläufige Schrotflinte danach aus. Lautes Bellen lässt ihn schliesslich aufhorchen. Die Jagdhunde haben eine Fährte gewittert. Und tatsächlich. Sekunden später sind zwischen den Bäumen braune, schemenhafte Umrisse zu sehen. Lautlos und Haken schlagend flüchtet ein Reh vor seinen Verfolgern, hin zum lauernden Jäger. Die neue Gefahr ahnt es noch nicht. Roman Stocker nimmt das Reh ins Visier. «Peng» hallt es durch den Wald. Der Knall zerreisst die kalte Morgenluft.
Roman Stocker senkt seine Flinte und schaut dem flüchtenden Reh wehmütig hinterher. Er war für einen kurzen Moment nicht konzentriert und verfehlte sein Ziel, weil ein Baumstamm im Weg stand. Ein zweites Mal schiessen kommt für den 52-Jährigen nicht infrage. «Aus Respekt gegenüber dem Tier.» Er habe seine Chance gehabt, nun sei das Reh eben schneller gewesen und habe es verdient, davonzukommen. Stocker knickt seine Waffe in der Mitte auseinander und entfernt die leer geschossene Patrone aus der Schrotflinte. Geschickt lädt er eine neue 3,7-Millimeter-Patrone nach. «Mit Schrotmunition dürfen wir auf maximal 30 Meter entfernte Ziele schiessen.» Bei grösserer Entfernung würden sich die Schrote auf einen zu grossen Radius verteilen und das Ziel werde nicht mehr ausreichend getroffen. Das führe dann zu angeschossenen Tieren, die bei einer sogenannten Nachsuche verfolgt und allenfalls noch getötet werden müssen. «Wir wollen die Tiere möglichst schnell und schmerzlos erlegen», betont Roman Stocker, der vor neun Jahren die Jagdprüfung absolviert hat und seitdem in der Jagdgesellschaft Hämikon-Müswangen als einer von acht Pächtern auf die Jagd geht.

Inzwischen ist es an diesem Samstag Ende Oktober Mittag geworden. Ausser den Jagdhunden hat sich kein Tier mehr in Stockers Sektor verirrt. Der Klang des Jagdhorns ruft schliesslich zur Pause. Die Treibjagd wird in diesem Waldabschnitt beendet, die Jäger dürfen ab jetzt nicht mehr schiessen und müssen sich zum zuvor abgesprochen Sammelplatz begeben. Das Gewehr muss dabei gebrochen, das heisst in der Mitte geknickt und entladen, getragen werden. «Sicherheit hat bei uns oberste Priorität», sagt Stocker, der in der Jagdgesellschaft das Amt des Obmanns innehat. Jagdleiter Andreas Heinrich hatte kurz vor der Jagd noch einmal jedem eingebläut, wie er sich zu verhalten hat. Auch welcher Jäger während der Jagdwo steht, ist vom Jagdleiter zuvor bestimmt worden. Wichtig sei dabei, dass bis zum Hornsignal niemand den ihm zugewiesenen Standort verlässt, erklärt Stocker. «Der Jäger würde sonst in einen Bereich geraten, von wo er durch einen Kollegen angeschossen werden könnte.»
Beim Sammelplatz angekommen zeigt sich, dass einer der Jäger mehr Glück hatte als Obmann Stocker. Ein lebloser Rehkörper liegt auf dem Waldboden – tödlich getroffen. «Das war ein guter Schuss, das Tier war sofort tot», sagt Stocker und lädt das erlegte Wild, oder wie die Jäger sagen Stück, in sein Auto. «Ich bringe das Stück nun zur Jagdhütte, wo es aufgebrochen wird.» Damit ist das Ausbluten und Ausnehmen des Tieres gemeint. Damit dies korrekt gemacht wird, werden die Jäger während ihrer einjährigen Ausbildung nebst dem Hundewesen, der Waffen-, Gesetzes-, Wald- und Wildkunde auch in Wildbrethygiene unterrichtet. Dort lernen sie, wie man ein Tier ausnimmt, verwertet und das Fleisch richtig lagert. Nebst der Jagd schützen die Jäger Jungbäume mit Zäunen, helfen bei Lebensraumaufwertungen mit und definieren durch regelmässige Beobachtungen den Bestand von Fuchs, Reh und Hase. «Unsere Arbeit ist sehr vielfältig, das eigentliche Jagen ist nur ein Teil davon.»

Nach dem Wechsel in ein anderes Waldstück ziehen die Treiber und ihre Hunde wieder durch das Unterholz. Die kleinen Vierbeiner und ihre Besitzer scheinen dieses Mal aber nicht fündig zu werden. Auch nach einer Stunde hat Stocker noch kein Wild gesehen – im Jägerjargon heisst das Anblick. Wirklich schlimm findet er das allerdings nicht. «Ich liebe die Ruhe, die man während der Jagd hat.» Viele hätten heutzutage kaum noch Möglichkeiten, einfach einmal abzuschalten und nichts zu tun oder zu denken. «Das ist bei der Jagd noch möglich.» Natürlich mag er auch die ständige Spannung. «Einen gewissen Jagdtrieb muss man schon haben.» Dass damit einige Leute Mühe haben, kann Stocker nachvollziehen. Die Kritik, dass Jäger Tiermörder seien, hingegen nicht. «Jeder, der kein überzeugter Vegetarier ist, sollte besser nichts sagen.» Schliesslich sei auch das Schwein nicht freiwillig gestorben und die Jagd das Natürlichste auf der Welt. Auch mit der Behauptung, dass sie Freude am Töten hätten, ist er nicht einverstanden. «Das Tier tut mir manchmal auch ein wenig leid, wenn es tot vor mir liegt.» Trotzdem gehöre das halt dazu und sei notwendig, um die Bestände zu regulieren und Wildschäden zu vermeiden.

Dass nach erfolgreicher Jagd auch etwas Stolz mitschwingt, bestreitet er nicht. «Ich habe zu Hause einige Trophäen von erlegten Tieren.» Für ihn sei das aber nicht Prestige, sondern die letzte Ehre für das Tier und einfach schön anzusehen. Da er an diesem Nachmittag sogar noch einen Rehbock erlegt, wird seine Trophäensammlung um ein weiteres Gehörn erweitert. Schliesslich ist für Roman Stocker klar: «Jeder erlegte Bock gehört an die Wand.»