Sind keine Pestizide im Seetal möglich?

Am 13. Juni stimmt die Schweizer Bevölkerung über die Pestizid- und Trinkwasserinitiativen ab, welche bereits jetzt für intensive Diskussionen sorgen. Martin Birrer (FDP) und Monique Frey (Grüne) bilden da keine Ausnahme. Im Streitgespräch legen sie ihre Argumente dar.

Monique Frey, warum sagen Sie am 13. Juni zweimal Ja?
Frey: Ich bin davon überzeugt, dass wir gute und auch genügend Nahrungsmittel ohne Pestizide produzieren können.

Martin Birrer, genau dies glauben Sie nicht.
Birrer: Das ist so. Wir Bauern haben einen Ernährungsauftrag. 2017 haben 78 Prozent Ja zur Ernährungssicherheit gesagt. Wenn man sieht, wie die Schweiz gewachsen ist, wäre es widersinnig, weniger Lebensmittel zu produzieren, obwohl mehr Personen im Land leben. Genau dies würde aber bei einem Ja passieren.

Monique Frey, Sie sind Fachberaterin im Bereich Ernährungssicherheit. Ist die Befürchtung von Herrn Birrer berechtigt?
Frey: Für mich ist das Angebot in der Schweiz zu stark tierlastig. Wir müssen uns als Mensch rein physiologisch nicht mit so viel Fleisch, Milch und Eiern ernähren. Wir könnten mit sehr viel weniger auskommen. Und diese Forderung richte ich nicht nur an die Produzenten, sondern vor allem auch an die Konsumenten. Sie können nicht nur fordern, dass keine Pestizide eingesetzt werden, sondern müssen auch ihre Ernährung einer möglichen Neuausrichtung der Landwirtschaft anpassen.

Sind Sie Veganerin?
Frey: Nein, aber es gibt einen Kreislauf und dieser ist für mich nicht mehr geschlossen. Wir haben zu viele Tiere, ganz klar.

Birrer: Ich bin froh, dass du keine Veganerin bist Monique, deshalb kann ich deine Aussage auch akzeptieren. Mich ärgert diese Bevormundung von Leuten, welche die Produkte von uns Bauern gar nicht essen, uns aber vorschreiben wollen, wie wir zu arbeiten haben. Jeder Konsument und jede Konsumentin kann selber entscheiden, was er oder sie kauft. Ich sehe nicht ein, war-um uns der Staat vorschreiben sollte, was wir zu essen haben und was nicht. Das ist weit weg von einem liberalen Gedankengut.

Frey: Das ist ja das Problem am Liberalismus. Wie wollen wir die Natur so schützen? Sie hat keine Stimme.

Birrer: Dieses Problem können wir nicht in der Schweiz lösen. Die Pro-bleme würden sich durch mehr Import einfach ins Ausland verlagern. Laut zwei wissenschaftlichen Studien der Agroscope, welche im Auftrag vom Bund landwirtschaftliche Forschung betreibt, wäre bei einer Annahme der Initiativen der ökologische Fussabdruck durch den Import viel grösser, als wenn wir weiter gleich viel in der Schweiz produzieren. Und auf das wird nicht gehört. Das ist allen egal.

Monique Frey, haben Sie Angst vor mehr Import bei einem Ja?
Frey: (Überlegt) Ich setzte mich dafür ein, dass wir hier in der Schweiz die Lebensmittel produzieren. Ich bin überzeugt, dass es geht. Langfristig einfach mit weniger Tieren. Ich bin sicher nicht dafür, dass man Fleisch importiert, sondern weniger isst. Das funktioniert aber nur, wenn man die Konsumentinnen und Konsumenten auf diesen Weg mitnimmt. Sonst entsteht eine Käseglocke über der Schweiz, was bedeuten würde, dass wir hier ökologisch produzieren und alles andere einfach importieren. Das kann sicher nicht die Lösung sein. Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit der Landwirtschaft und muss einfach sagen, dass man schon viel früher diesen Weg hätte einschlagen müssen. Leider hat insbesondere der Bauernverband viel zu wenig in diese Richtung getan. Das ist auch ein Grund, warum nun diese Initiativen vorliegen.

Birrer: Das Problem ist, dass man mit diesen Initiativen nicht auf einen gemeinsamen Weg gehen möchte, sondern uns einfach vorschreiben will, wie und was wir zu produzieren haben. Das stört mich daran.

Frey: Wie bereits erwähnt, hat die Branche bisher auch nicht Hand dazu geboten. Am Anfang stand noch Aufklärung, Schulung und Problemdarstellung im Vordergrund. Wenn danach politisch im Parlament und in der Regierung zu wenig erreicht wird, ist das letzte Mittel eine Initiative, wie wir sie nun haben.

Sprechen wir über die Auswirkungen der Trinkwasserinitiative. Martin Birrer, auf welche Pestizide müssten Sie als Landwirt künftig verzichten?
Birrer: Ich habe 18 Hektaren Grünland und setze daher nur Herbizid gegen Blacken ein. Wenn ich aber Raps oder Kartoffeln hätte, würde ich auch andere Pestizide verwenden, das muss ich ganz ehrlich sagen. Dies sind einfach Kulturen, bei welchen es ohne Pflanzenschutzmitteln zu Totalverlusten kommen kann.

Wäre es für Sie als Grünlandbauer schlimm, wenn Sie ganz auf Pestizide verzichten müssten?
Birrer: Nein, grundsätzlich nicht. Als Grünlandbauer kann man eigentlich zu grossen Teilen ohne Pestizide leben. Es gibt übrigens viele solcher Flächen in der Schweiz, aus diesem Grund stimmt auch das Bild, dass jeder Bauer ständig Pestizide versprüht, nicht.

Im Seetal könnte vor allem die Forderung der Trinkwasserinitiative, dass nur noch so viele Tiere gehalten werden dürfen, wie mit betriebseigenem Futter ernährt werden können, für Herausforderungen sorgen.
Birrer: Ja, das wäre auch bei mir so. Ich müsste wohl mit der Tierzahl etwas zurückgehen, damit ich weiterhin Direktzahlungen erhalten würde.

Im Seetal gibt es viele Schweinezüchter, welche viel Futter zukaufen und im Verhältnis zu den Tieren wenig Land haben. Könnten diese innerhalb der Frist von acht Jahren, welche die Initiative gewährt, umstellen?
Birrer: Wenn man berücksichtigt, wie viel Geld die Bauern in den vergangenen Jahren in neue Ställe und Investitionen ins Tierwohl investiert haben, ist das aus meiner Sicht nicht möglich. Sie sind in ihren Vertriebskanälen fest gebunden. Das ist eine Problematik.

Frey: Ganz wichtig ist, dass man die Betriebsstruktur eines solchen Hofes genau anschaut. Die Bauern sind innovativ und konnten sich immer wieder an die ändernden Gesetze anpassen. Demzufolge sind auch viele Fortschritte gemacht worden in den letzten Jahren.

Was würden Sie denn an der Stelle eines Seetaler Schweinehalters machen, Frau Frey?
Frey: Ich würde versuchen, meine Schweine mit Ackerfrüchten vom eigenen Hof zu ernähren. Zudem würde ich mir überlegen, ob es nicht mit weniger Tieren geht und dafür ein anderes Produkt suchen, welches im besten Fall noch direkt vermarktet werden kann. Das ist nicht unrealistisch, gerade auch im Seetal machen das immer mehr Produzenten.

Die hohe Tierdichte ist im Seetal immer wieder ein Thema. Martin Birrer, müssen die Seetaler Bauern nicht endlich ihre Tierbestände abbauen?
Birrer: Die Frage ist doch, warum hat es im Seetal so viele Tiere? Das hat einen Grund. Einerseits gibt die Topografie vor, wo welche Kulturen sinnvoll sind, andererseits sind wir in einem sehr futterreichen Gebiet. Mit den fruchtbaren Böden in Kombination mit den Niederschlägen ist diese Art Landwirtschaft prädestiniert im Seetal. Darum haben wir hier halt mehr Tiere als in anderen Regionen.

Diese intensive Landwirtschaft birgt auch Probleme. Die Seen sind nach wie vor überdüngt und das verbotene Fungizid Chlorothalonil ist im Seetal bei jeder Wasserversorgung zu finden.
Birrer: Die Phosphorrückstände in den Seen sind Altlasten. Dass diese nicht gut sind, ist klar. Heute gelangt aber praktisch kein Phosphor mehr in die Gewässer. Bezüglich Chlorothalonil sprechen wir von einer Problematik, die ebenfalls in der Vergangenheit verursacht wurde. Dazu muss man aber stehen und es auch beheben. Das Pro-blem ist, dass gerade beim Chlorothalonil der Grenzwert wohl schon länger zu hoch ist. Seit 2019 hat man einfach die Messungen geändert und den Grenz-wert gesenkt. Seit dem kommt es zum Vorschein.

Frey: Man kann es eben auch anders sehen. Es wurden Fortschritte bei den Messungen gemacht und nun werden die Stoffe erkannt. Das ist wie in der Medizin. Dort hat man im Laufe der Jahre auch dazugelernt.

Birrer: Wir haben ja dazugelernt, das Mittel ist heute verboten und das ist auch richtig so.

Fortschritte können auch durch neue Innovationen erzielt werden. Seit Kurzem wird im Seetal eine neue Spritzmittel-Maschine namens ARA eingesetzt, welche dank Robotik 90 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel verbraucht als bisher (der SB berichtete). Monique Frey, was halten Sie davon?
Frey: Das geht in die richtige Richtung. Es scheint offenbar auch einen Markt dafür zu geben, sonst wäre nicht investiert worden. Die Frage ist derzeit einfach noch, funktioniert es auch wirklich? Solche Ideen gibt es ja schon länger, bisher hat sich aber nie ein Produkt durchgesetzt.

Birrer: Fakt ist, dass man beispielsweise bei der Unkrautbekämpfung bisher die ganze Fläche mit Herbizid besprüht hat und dadurch auch Ertragsverluste hinnehmen musste. Mit der neuen Maschine wird nur noch punktuell das Unkraut besprüht. Dadurch braucht es automatisch viel weniger Herbizid und die Wiese wird nicht geschädigt.

Monique Frey, das beweist doch, dass es auch ohne Verbote geht.
Frey: Es braucht eben verschiedene Massnahmen. Das reicht aus meiner Sicht nicht. Gesetze, welche vorschreiben, was getan werden darf und was nicht, sind zwingend nötig. Und sollte sich diese Maschine tatsächlich durchsetzen, ist das super und sehr zu begrüssen. Wenn dadurch die Initiativen in einigen Jahren obsolet sind, umso besser. Ich bin überzeugt, dass man diese auch wieder rückgängig machen könnte.

Birrer: Vergiss es! Alles was ihr anstrebt, wollt ihr später sicher nicht wieder rückgängig machen.

Martin Birrer, eine solche Innovation beweist doch, wie viel möglich ist. Hätte die Landwirtschaft nicht schon viel früher umweltfreundlicher sein müssen und so vielleicht auch die Entstehung solcher Initiativen verhindern können?
Birrer: Nein, das glaube ich nicht. Es wird eben nicht gesagt, was in den letzten 30 Jahren alles erreicht worden ist in der Landwirtschaft. Und dass die Bauern Fortschritt eben auch wollen. Ich würde auch lieber darauf verzichten, Blacken zu spritzen. Der Grossteil der Bauern ist nicht scharf darauf, möglichst viel Pflanzenschutzmittel einzusetzen.

Sie und ihre CVP-Ratskollegin Bernadette Rüttimann aus Lieli wollen die ARA-Maschine bei Luzerner Politikern bekannt machen und haben dafür einen Anlass organisiert. Ist ihr Vorgehen nicht zielführender, als nur auf den Initianten herumzuhacken und zu allem Nein zu sagen, wie es der Bauernverband derzeit macht?
Birrer: Ich erachte den Schweizer Bauernverband als nicht so hinterwäldlerisch, dass er nichts getan hat und zu allem Nein sagt. Die Frage ist, wie seine Kommunikation aufgenommen wird. Das Problem ist nämlich oft, dass man uns misstraut. Ich habe das nun beim Verteilen der Einladungen für die ARA-Präsentation erlebt. Sofort gab es stimmen, die das Gefühl hatten, wir hätten die Agrarlobby im Rücken, welche uns dafür bezahlt, dass wir diese Maschine vorstellen. Das stimmt aber nicht. Bernadette und ich nehmen jeweils 600 Franken in die Hand, um diesen Anlass zu organisieren.

Monique Frey, auch Sie zeigen eine gewisse Skepsis. Werden Sie am Anlass teilnehmen?
Frey: Ich muss ehrlich sagen, als ich zum ersten Mal davon las, war ich mir nicht sicher, ob ich teilnehmen soll und fragte mich, ob das nun wirklich etwas Neues ist. Aber jetzt nach der Diskussion werde ich mir nochmals Gedanken darüber machen und könnte mir gut vorstellen, den Anlass zu besuchen. Eigentlich klingt es interessant.

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